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Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie: Was müssen Unternehmen jetzt tun?

Kategorie: Entgelttransparenz
08.10.2024
ETR

Schluss mit ungleicher Bezahlung zwischen Männern und Frauen: Die EU will mit der am 6. Juni 2023 in Kraft getretenen Entgelttransparenzrichtlinie (Richtlinie (EU) 2023/970) den bereinigten Gender-Pay-Gap verkleinern. Die EU-Mitgliedstaaten müssen die Vorgaben bis zum 7. Juni 2026 umsetzen.

Für Deutschland bedeutet dies eine Überarbeitung des Entgelttransparenzgesetzes von 2017. Die Richtlinie ist also noch nicht im Gesetz verankert. Dennoch ist es für Unternehmen ratsam, sich schon jetzt mit der Richtlinie zu beschäftigen, da die künftige nationale Gesetzgebung weit über die aktuelle Rechtslage hinausgehen wird. Hier erfahren Sie, wie die Gesetzeslage zurzeit aussieht, was sich ändert, und wie sich Ihr Unternehmen nun vorbereiten kann, um künftig Sanktionen zu vermeiden. 

Aktuelle Rechtslage, nach dem Entgelttransparenzgesetz von 2017

ETG

Schon seit Juli 2017 gilt in Deutschland das Entgelttransparenzgesetz. In diesem ist festgehalten, dass Beschäftigte in Betrieben und Dienststellen mit mehr als 200 Mitarbeitenden einen individuellen Auskunftsanspruch haben. Sie dürfen in ihrem Unternehmen das sogenannte Vergleichsentgelt, das sich aus dem monatlichen Bruttogehalt sowie bis zu zwei weiteren Entgeltbestandteilen wie zum Beispiel Boni oder Zuschlägen zusammensetzt, anfragen (§ 10 Abs. 1 S. 3 EntgTranspG).  Das Vergleichsentgelt ist anzugeben als auf Vollzeitäquivalente hochgerechneter statistischer Median des durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelts sowie der benannten Entgeltbestandteile, jeweils bezogen auf ein Kalenderjahr.  

Um personenbezogene Daten zu schützen, sieht das Gesetz vor, dass keine individuellen Gehaltsinformationen von Kolleg*innen preisgegeben werden müssen und dürfen, sondern das Vergleichsentgelt einer aus mindestens sechs Kolleg*innen zusammengesetzten Gruppe, die gleiche oder gleichwertige Arbeit machen, angefragt werden muss (§ 12 Abs. 3 EntgTranspG). Wird eine Vergleichsgruppe dieser Größe nicht erreicht, besteht kein Auskunftsanspruch.

Das Entgelttransparenzgesetz sieht außerdem vor, dass berichtspflichtige Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden regelmäßig überprüfen müssen, ob im Unternehmen die Entgeltgleichheit gegeben ist. Dazu muss ein Bericht erstellt werden, (§ 21 Abs. 1 EntgTranspG) in dem zusätzlich nach Geschlecht aufgeschlüsselt wird, wie viele Mitarbeiter*innen in Voll- und Teilzeit arbeiten (§ 21 Abs. 2 EntgTranspG). 

Eine Evaluierung des Gesetzes vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Jahr 2023 ergab, dass bisher nur vier Prozent der befragten Beschäftigten den individuellen Auskunftsanspruch genutzt haben. 

Laut Gutachten haben weniger als ein Drittel der Unternehmen, die befragt wurden, ihre Entgeltstrukturen überprüft. Die Empfehlung des Gutachtens lautet deshalb, dass das Gesetz bekannter gemacht werden muss –  außerdem einheitlicher und verbindlicher.  

Exkurs: gleiche und gleichwertige Arbeit

Gleiche Arbeit bedeutet, dass Mitarbeitende identische oder ähnliche Aufgaben ausführen können, unabhängig davon, ob sie am selben oder an verschiedenen Arbeitsplätzen arbeiten. Sie können sich also bei Bedarf vertreten. Beispiel des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Kfz-Mechanikerinnen und Kfz-Mechaniker können einander vertreten und üben somit die gleiche Tätigkeit aus.    

Gleichwertige Arbeit bezieht sich auf Tätigkeiten mit ähnlichen Anforderungen und Belastungen, auch wenn sie inhaltlich unterschiedlich sind. Die Vergleichskriterien umfassen die Art der Arbeit, die Ausbildungsanforderungen und die Arbeitsbedingungen.  

Auch Tätigkeiten, die auf den ersten Blick unterschiedlich erscheinen, können tatsächlich gleichwertig sein, ebenso wie auf den ersten Blick gleich erscheinende Tätigkeiten durchaus nicht gleichwertig sein müssen. Weniger transparente Merkmale, wie der individuelle Wert der Mitarbeitenden für das Unternehmen, können ebenfalls eine Rolle spielen. Zum Beispiel, wenn eine Person zusätzliche Skills hat, die sie zur Übernahme weiterer Aufgaben befähigen. So könnte ein*e Kfz-Mechaniker*in, der*die auch eine Ausbildung als Buchhalter*in hat, auch im Accounting arbeiten. Dies kann eine Ungleichbehandlung im Entgelt rechtfertigen, selbst wenn diese anderweitigen Einsätze nicht konkret beabsichtigt sind. 

Neu: Die Entgelttransparenzrichtlinie von 2023

ETR

Bei dem Ziel, die Wirksamkeit des Entgelttransparenzgesetzes zu erhöhen, wird die Implementierung der Entgelttransparenzrichtlinie der Europäischen Union in die nationalen Gesetzgebungen eine große Rolle spielen. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend arbeitet unter der Leitung der Ministerin Lisa Paus (Die Grünen) zurzeit an einem Gesetzesentwurf. Noch besteht Unklarheit darüber, wie die Umsetzung in deutsches Recht aussehen wird. Aber die EU-Richtlinie macht detaillierte Vorgaben. Bis Juni 2026 sollen diese in den nationalen Gesetzgebungen der EU-Mitgliedsländern verankert sein.

Die Bestimmungen der Entgelttransparenzrichtlinie stützen sich hauptsächlich auf zwei grundlegende Pfeiler: Die Transparenzelemente sowie die Maßnahmen zur Rechtsdurchsetzung. Für Unternehmen bedeutet das Veränderungen in den Bereichen RecruitingEntgelttransparenz während der Anstellung sowie eine Berichtspflicht über den Gender-Pay-Gap. Verstöße werden sanktioniert.  

1. Die Bedeutung fürs Recruiting

Damit Bewerber*innen keine Nachteile in Gehaltsverhandlungen haben, soll künftig das Einstiegsgehalt oder dessen Spanne schon vorab transparent gemacht werden (Artikel 5, Richtlinie (EU) 2023/970). Das Gehalt kann dann entweder direkt in der veröffentlichten Stellenanzeige einsehbar sein, oder das Unternehmen teilt diese Informationen auf eine andere Weise vorab.  Außerdem haben Bewerbende das Recht, die relevanten Bestimmungen eines für die Stelle anwendbaren Tarifvertrages mitgeteilt zu bekommen. Die Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien, sich auch auf ein Gehalt außerhalb der angegebenen Gehaltsspanne zu einigen, soll hiervon jedoch unberührt bleiben, wie aus den Erläuterungen zur Richtlinie hervorgeht.

Des Weiteren ist es nicht mehr zulässig, Bewerbende im Vorstellungsgespräch nach ihrem vorherigen Verdienst zu befragen. Die gesetzliche Regelung über Sanktionen bei einem Verstoß ist inhaltlich nicht näher vorgegeben, sondern liegt beim nationalen Gesetzgeber. Die Richtlinie sieht auch vor, dass Berufsbezeichnungen geschlechtsneutral sein sollen und Einstellungsverfahren auf nichtdiskriminierende Weise geführt werden (Artikel 5, Absatz 2& 3 Richtlinie (EU) 2023/970). Dies entspricht der aktuellen Rechtslage und bringt somit keine Veränderungen mit sich. 

2. Während des Arbeitsverhältnisses besteht ein erweiterter Entgelt-Auskunftsanspruch

Arbeitnehmer*innen haben das Recht, Auskünfte über ihre individuelle Entgelthöhe und über die durchschnittlichen Entgelthöhen in schriftlicher Form zu erhalten:

- Die Aufschlüsselung erfolgt nach Geschlecht.

- Es dürfen diejenigen Gruppen von Arbeitnehmer*innen verglichen werden, die gleiche Arbeit oder gleichwertige Arbeit verrichten.

- Die Auskunft muss spätestens zwei Monate nach Anfrage erteilt werden.

- Unternehmen müssen ihre Arbeitnehmer*innen jährlich über dieses Recht informieren (Artikel 7 Richtlinie (EU) 2023/970).

Unternehmen müssen ihren Mitarbeiter*innen außerdem leicht zugänglich Informationen darüber bereitstellen, welche Kriterien zur Festlegung ihres Gehalts, der Gehaltshöhen und der Gehaltsentwicklung verwendet werden. Diese Kriterien müssen objektiv und geschlechtsneutral sein.

Mitgliedstaaten können Arbeitgeber mit weniger als 50 Mitarbeitern von der Verpflichtung zur Bereitstellung von Informationen über die Entgeltentwicklung ausnehmen (Artikel 6).

3. So sieht die Berichtspflicht über den Gender-Pay-Gap für Unternehmen aus

Arbeitgeber müssen laut Artikel 9 der Richtlinie umfassende Informationen zum geschlechtsspezifischen Lohngefälle in ihren Unternehmen veröffentlichen. Dies umfasst das allgemeine geschlechtsspezifische Entgeltgefälle, sowie Unterschiede bei variablen Gehaltsbestandteilen.  

Bei einem Lohngefälle von mehr als 5 % in einer Gruppe von Arbeitnehmer*innen ist eine gemeinsame Überprüfung der Gehaltsstruktur zusammen mit der Arbeitnehmervertretung vorgesehen. Der  Arbeitgeber ist dann in der Pflicht, einen solchen Unterschied bei der durchschnittlichen Entgelthöhe auf der Grundlage objektiver, geschlechtsneutraler Kriterien zu rechtfertigen. Wenn das nicht möglich ist, muss der  Arbeitgeber einen solchen ungerechtfertigten Unterschied bei der durchschnittlichen Entgelthöhe innerhalb von sechs Monaten nach dem Tag der Berichterstattung über das Entgelt korrigieren(Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie). 

Berichtspflicht

Maßnahmen zur Rechtsdurchsetzung: Die Richtlinie sieht Beweislastumkehr und Sanktionen vor

Die Richtlinie stärkt Arbeitnehmer*innen-Rechte. Wenn Mitarbeitende glauben, beim Gehalt diskriminiert zu werden, liegt die Beweispflicht nicht mehr bei ihnen, sondern bei den Arbeitgeber*innen (Artikel 18 Richtlinie (EU) 2023/970).  

Die Richtlinie sieht in folgenden Fällen eine Entschädigung vor:

- Der*die Arbeitnehmer*in wurde aufgrund des Geschlechts beim Gehalt benachteiligt.

- Schadensersatz für „entgangene Chancen”, wie Zugang zu bestimmten Leistungen je nach Entgelthöhe

- Schadenersatz für immateriellen Schaden, wie beispielsweise „erlittenes Leid aufgrund der Unterbewertung der geleisteten Arbeit“

Laut Richtlinie sollen keine vorab festgelegten Obergrenzen für einen solchen Schadensersatz eingeführt werden (Artikel 16, Absatz 4, Richtlinie (EU) 2023/970).   

Die Sanktionen sollen “wirksam, verhältnismäßig und abschreckend” sein

Die konkrete Ausgestaltung von Sanktionen liegt im Ermessen der einzelnen Mitgliedsstaaten. Art. 55 der Erwägungsgründe der Richtlinie bestimmt, dass “wirksame, verhältnismäßige und abschreckende” Sanktionen vorgesehen werden sollen. Diese “sollten Geldbußen umfassen, die auf dem Bruttojahresumsatz des Arbeitgebers oder der Gesamtentgeltsumme des Arbeitgebers” beruhen könnten. Sonstigen erschwerenden oder mildernden Umständen des Einzelfalls, beispielsweise wenn Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts mit Diskriminierung in Bezug auf andere Schutzgründe verbunden ist, sollte Rechnung getragen werden.  

Umsetzung von Sanktionen obliegt den einzelnen Mitgliedsstaaten

Es liegt an den Mitgliedstaaten, festzulegen, für welche Verletzungen der Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit gleichem Entgelt bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit Geldbußen die angemessenste Form der Sanktionierung darstellen.” Zudem müssen die Verjährungsfristen für Ansprüche auf gleiches Entgelt nach der Umsetzung der Richtlinie mindestens drei Jahre betragen (Artikel 21, Absatz 1, Richtlinie (EU) 2023/970). Insgesamt lässt die Richtlinie dem nationalen Gesetzgeber hier einen weiten Gestaltungsspielraum. Wie dieser hierzulande genutzt werden wird, ist noch völlig offen. 

Für wen besteht Handlungsbedarf? Folgerungen für die Praxis

Tipp #1: Nutzen Sie die Gehaltsrunden 2024, 2025 und 2026 zur Schließung von eventuellen Lohnlücken.

Es ist ratsam für Unternehmen, sich schon jetzt mit der Gehaltstransparenz zu beschäftigen. Zwar sind Unternehmen mit mindestens 150 Mitarbeitenden erst ab 2027 erstmals dazu angehalten, über den Gender-Pay-Gap zu berichten. Dabei beziehen sie sich aber auf die Daten aus dem Jahr 2026.
Des Weiteren ist nicht damit zu rechnen, dass für das reformierte Entgelttransparenzgesetz lange Einführungsfristen gelten, da geschlechtergerechte Bezahlung für Männer und Frauen schon jetzt im deutschen Recht festgesetzt sind. Im Vorteil ist, wer schon jetzt die betrieblichen Vergütungsstrukturen entsprechend den Kriterien der Entgelttransparenzrichtlinie überprüft und anpasst.

Tipp #2: Führen Sie ein transparentes, objektives Entgeltsystem mit nachvollziehbaren Gehaltsstrukturen ein.

Notwendig ist das nur dort, wo kein Tarifvertrag besteht. Ein solcher ermöglicht es Interessierten ohnehin, öffentlich einzusehen, welches Gehalt sie mit ihrer Ausbildung erwarten dürfen – hierbei macht das Geschlecht keinen Unterschied. Für Unternehmen ohne Tarifbindung bietet sich die Implementierung eines betrieblichen Vergütungssystems an, das in mitbestimmten Betrieben typischerweise durch Betriebsvereinbarung geregelt wird. Auch die Einbeziehung anderer, formlos ins Leben gerufener Arbeitnehmervertretungen außerhalb tarifvertrags- oder betriebsverfassungsrechtlicher Strukturen ist durch die Richtlinie jedenfalls nicht von vornherein versperrt. 
Setzen Sie eine Jobarchitektur mit Karrierestufen, Karrierelevels (Grades) und Gehaltsbändern auf. Diese müssen objektiv und geschlechtsneutral definiert sein (Artikel 4, Absatz 2 und 4, Richtlinie (EU) 2023/970), und ggfs. mit unterschiedlichen Stakeholdern abgestimmt werden.

Tipp #3: Starten Sie die Überprüfung der aktuellen Lohnlücken mit einer einzelnen Betriebseinheit.

Überprüfen Sie zuerst die Gehaltsstrukturen und die eventuellen Lohnlücken in einer Betriebseinheit. So bekommen Sie ein Gefühl für den Status Quo in Ihrem Unternehmen und den Aufwand.

Checkliste: vorgesehene Pflichten ab 2026

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